Du musst es nicht allen recht machen - grenze dich ab!

Photo by Jon Tyson on Unsplash

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Meine Nachbarin steht in der Türe und sagt: “Du, wir sollten die Termine setzen für die Planung des Adventsfensters.” Stimmt, die für mich schönste Zeit des Jahres steht bereits schon wieder vor der Türe. Und das alljährliche Gestalten des Adventsfenster zusammen mit den Kindern des Quartiers ist eine liebgewonnene Tradition geworden. Doch heute lässt mich diese Anfrage innerlich zusammen zucken. Denn das Gestalten des Adventsfenster ist nicht nur etwas Wunderschönes, sondern auch etwas Zeitaufwändiges. Und darum möchte ich in diesem Jahr eigentlich nicht mitarbeiten, weil es mir neben allem anderen, was läuft, einfach zu viel wäre.

“Aber du kannst doch jetzt nicht absagen, die rechnen mit dir.” erinnert mich meine innere Aufpasserin postwendend an meine vermeintliche Verantwortung. Uns so fühle ich mich schon als Verräterin der guten Sache, bevor ich überhaupt den Mund aufgemacht habe, denn das schlechte Gewissen breitet sich bereits genüsslich in allen Fasern meines Körpers aus

...ich kann doch nicht einfach “Nein” sagen!

Kennst du solche Situationen auch, wo “Nein” sagen unmöglich scheint? Denn du möchtest niemanden enttäuschen. Du möchtest nicht die Spielverderberin sein. Und du hast Angst, dass es Konflikte gibt, wenn du den Erwartungen der anderen eine Abfuhr erteilt. Nein-Sagerin sein, ist nicht cool. Nein-Sagen fühlt sich unkollegial an.

Als Nein-Sagerin fühlt man sich oft wie eine Langweilerin, eine Versagerin und jemand, der nicht belastbar ist.

Darum werde zur Ja-Sagerin. Ja, kehr den Spiess um. Werde zur grössten Ja-Sagerin, die du kennst. Das fühlt sich so viel besser an, wenn man nicht GEGEN, sondern FÜR etwas ist. Ein Ja löst eine andere Motivation und Energie aus als ein Nein. Darum werde zur loyalsten Ja-Sagerin, die du kennst. Aber nicht mehr hauptsächlich für die Ziele, Erwartungen und Bedürfnisse von anderen Menschen, sondern für dich selbst.

Werde zur Ja-Sagerin für dein kraftvolles und erfüllendes Leben.

Diese Sichtweise wird dir helfen, dich nicht mehr so schlecht zu fühlen, wenn du dich nicht mehr in das Beschäftigungs-Programm deines Umfeldes einspannen lassen möchtest. Wenn du nicht lernst, zuverlässig Ja zu dir selbst zu sagen, wirst du von anderen beschäftigt werden, denn irgendwer braucht irgendwo immer eine helfende Hand: Krippenspiel, Organisation des Skiweekends unter Freunden, Unterstützung im Projekt auf der Arbeit (das dem Kollegen die Beförderung bringen wird), Mitarbeit bei der Forschungsarbeit (die nur unter dem Namen des Chefs veröffentlicht wird), Kuchenbacken für x-beliebigen Anlass und so weiter. Gerade Frauen, und im Speziellen Mütter, fragt man gerne an. Die haben ja Zeit. Die machen das doch gerne. Und vor allem: die sagen meistens nicht Nein. Wenn du nicht lernst, vehement Ja zu dir und deinen eigenen Bedürfnissen und Plänen zu sagen, wirst du immer beschäftigt sein, aber nie Zeit finden, dein Leben zu leben.

 

10 Tipps dazu, wie du lernst dich gesund abzugrenzen

  1. Erlaube dir ein uneingeschränktes Ja für dich
    Erlaube dir deine eigenen Bedürfnisse, Grenzen, Pläne und Ziele. Es ist erlaubt, dein Leben so zu leben, dass du dich darin wohl fühlst. Dazu hilft es, zu wissen, wer du bist und was du willst. Kennst du dich gut genug, dass du deine Bedürfnisse und Grenzen erkennst? Was für (geheimen) Wünsche und Vorstellungen hast du von deinem Leben? Um das herauszufinden, helfen folgende Fragen: Was ist mir wichtig? Womit verbringe ich gerne Zeit? Mit wem verbringe ich gerne Zeit?

  2. Du hast immer die Wahl
    Menschen zu unterstützen und sich in Projekte hineinzugeben, kann etwas total Bereicherndes sein. Wichtig ist dabei aber immer, dass du die Wahl hast, selbst zu entscheiden, wo du deine Zeit und Energie hineingeben willst. Wenn du diese Freiheit nicht mehr spürst, dann frage dich, wieso du dich genötigt fühlst, dich zu engagieren, obwohl du nicht möchtest. Viele Menschen sind sehr gut darin, bei anderen Menschen Druck aufzubauen, Schuldgefühle auszulösen, auf Mitleid zu pochen, sich mit Schmeicheleien Nachdruck zu verleihen, sie zu überrumpeln oder vielleicht sogar zu erpressen um zu bekommen, was sie wollen. Hab den Mut, bei diesen Spielchen nicht mit zu machen!

  3. Nimm dir Zeit für deine Antwort
    Wenn dich jemand anfrägt, musst du nicht sofort eine Antwort geben. Du darfst dir immer eine Bedenkzeit erlauben mit einem einfachen “Danke für die Anfrage. Ich überlege es mir und geb dir Bescheid!” Dies gibt dir die Möglichkeit zu überdenken, was du wirklich möchtest. Bedenke auch, was eine Zusage für dich bedeuten würde an Zeit- und Energieaufwand, beziehungsweise auch, welche anderen Dinge du dann deswegen nicht tun kannst.

  4. Knüpfe dein Ja an Bedingungen
    Dein Ja für eine Sache muss niemals uneingeschränkt sein. Erlaube dir von Anfang an, deine Bedingungen zu nennen, damit andere informiert sind, wie sie mit dir rechnen können. “Ich besuche dich heute gerne. Ich werde von 15-17Uhr vorbei kommen”, “Gerne sehe ich dich mal wieder. Lass uns auf halbem Weg treffen.”, “Ich werde im Supermarkt einen Kuchen holen, denn im Moment reicht die Zeit nicht selbst zu backen.”

  5. Entschuldige dich nicht
    Du musst dich für deine Entscheidung niemals entschuldigen! Das Nein für dein anderen, ist ein Ja für dich. Du hast deine Gründe, die dich zu deiner Entscheidung veranlasst haben, dich abzugrenzen. Deine Gründe sind nicht weniger wichtig, als die Gründe der anderen Person. Kommuniziere dein Nein darum höflich, aber klar: “Danke für deine Anfrage, aber nein danke!”

  6. Du musst die anderen nicht retten
    Viele Menschen, die schlecht Nein zu anderen sagen können, sind sehr sensibel und empathisch. Sie spüren die Wünsche, Erwartungen und allfälligen Enttäuschungen der andern auch ohne dass darüber geredet wird. Erinnere dich in solchen Momenten daran, dass du nicht für den Erfolg eines Projektes von anderen verantwortlich bist. Du bist auch nicht für das Seelenheil von anderen verantwortlich (inkl. PartnerIn, Eltern, Geschwister, Kinder…) Und du bist auch nicht vom Lob und dem Verständnis von anderen abhängig. Denn wer allen gefallen will, verliert sich selbst.

  7. Perspektivenwechsel
    Überlege dir, wie es dir jeweils geht, wenn dir jemand ein “Nein, ich möchte nicht.” entgegenbringt. Ja, du warst davon sicher auch schon irritiert, enttäuscht und vielleicht sogar ärgerlich. Aber hast du nicht insgeheim den Mut und das Selbstbewusstsein des “Nein-Sagers” bewundert? Die andere Person wird sich über dich auch nicht so viele Gedanken, wie du befürchtest. Menschen sind egoistisch und darum drehen die Gedanken vor allem um die eigenen Bedürfnisse.

  8. Denke an die Konsequenzen
    Überlege dir, welche Konsequenzen dein versäumtes Nein für dich haben wird: keine oder weniger Zeit für Sport, weniger Zeit für Kinder, Reibereien mit PartnerIn da man weniger Zeit zum Reden hat, ungesünder essen, zu wenig Schlaf….
    Welchen Preis bist du bereit zu zahlen für dein Engagement für andere?

  9. Gegenseitigkeit
    Überlege dir auch immer: bekomme ich im Gegenzug für mein Ja auch etwas? Wie oft habe ich für diese Person schon etwas getan? Was hat sie schon für mich getan? Wenn ein Ungleichgewicht für dich besteht - möchtest du tatsächlich wieder investieren?

  10. Überdenke deine Loyalität
    Wenn du merkst, dass du bei gewissen Menschen kein Ja mehr hast für irgendeine Unterstützung oder ein Treffen, dann sei ehrlich mit dir und dem anderen. Diese Menschen scheinen für dich nicht (mehr) so wichtig zu sein. Das ist okay. Nur weil Menschen irgendwann in dein Leben gespült wurden, heisst das nicht, das du nun ein Leben lang mit ihnen am Strand Burgen bauen musst. Menschen dürfen weiter gespült werden zu einem anderen Strand mit anderen Menschen.

Und zum Schluss: vergiss bei all dem nicht, Übung macht die Meisterin. Habe Geduld mit dir selbst und feiere deine Erfolge, besonders auch die kleinen, denn sie bringen dich zuverlässig Schritt für Schritt weiter.

Ja-Sagerinnen seien halt einfach zu nett, wird immer wieder gesagt. Das mag stimmen. Doch sobald von dieser Nettigkeit genug für dich selbst übrig bleibt, ist es doch etwas Wunderbares....oder nicht? 😉

 
Yvonne SchudelKommentieren